Wie die EU-Textilstrategie die Zukunft des Ökodesigns neu definiert

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Mit der neuen EU-Verordnung (ESPR) beginnt eine Ära strenger Ökodesign-Anforderungen, klarer Leistungsparameter und kompromissloser Materialeffizienz. Doch was heißt das für die Textilbranche?

Wir haben den brandaktuellen Bericht des Umweltbundesamtes analysiert, der eine solide Basis für potenzielle zukünftiger Nachhaltigkeitskriterien bietet– von Haltbarkeit bis Reparierbarkeit.

 

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ESPR

Die „Verordnung (EU) 2024/1781 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Produkte“ (ESPR) ist seit Mitte 2024 in Kraft und ersetzt die bisherigen Ökodesign-Richtlinien. Die Verordnung legt ökologische Mindestanforderungen für verschiedene Produktgruppen fest und enthält neue Anforderungen zur Berücksichtigung des gesamten Produktlebenszyklus, zur Verlängerung der Produktlebensdauer und zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Bis März 2025 wird ein Arbeitsplan der EU-Kommission erwartet, in dem die Produktgruppen aufgelistet sind, für die spezifische Verordnungen erarbeitet werden. Diese werden konkrete Anforderungsniveaus für die einzelnen Nachhaltigkeitsaspekte definieren.

 

Die Europäische Union verfolgt mit der EU-Textilstrategie (COM 2022/141 final) das Ziel, die Materialeffizienz von Bekleidungstextilien zu optimieren. Der vorliegende Bericht zur Umsetzung der EU-Textilstrategie befasst sich mit der Identifizierung und Konkretisierung möglicher relevanter Begriffe in diesem Kontext und der Ableitung möglicher Kriterien für Ökodesign-Anforderungen. Dazu wurden in einem Expertenworkshop entwickelte Begriffe diskutiert und validiert. Als Grundlage dienten neben dem Entwurf der EU-Ökodesign-Verordnung EU-Regelwerke, Branchenstandards und wissenschaftliche Fachliteratur.

Projektmethodik

Das Projekt wurde in zwei Phasen unterteilt und durchlief mehrere Schritte. Zunächst wurden relevante Begriffsstrukturen aus der EU-Ökodesign-Verordnung identifiziert, auf ihre Übertragbarkeit auf Bekleidungstextilien geprüft und mit vorhandenen Definitionen abgeglichen. Anschließend wurden Begriffe zusammengestellt, die Leistungs- und Informationsanforderungen während der Nutzungsphase textile Produkte beschreiben können. Nach einer Expertenrunde zur Validierung der Begriffe wurde deren Feedback in den Bericht integriert.

 

Zur Steigerung der Materialeffizienz liegen drei unterschiedliche Ansätze vor, die auch kombinierbar sind. Ziel ist eine effektive Ressourcennutzung und eine Reduktion der Umweltauswirkungen. 

 

Die Berücksichtigung des gesamte Produktlebenszyklus

rückt in den Fokus. Bildquelle: Pexels


Materialeffizienz als Leitprinzip

Materialeffizienz bildet die Basis für die Festlegung von Mindestanforderungen an Textilien. Sie setzt sich aus drei zentralen Ansätzen zusammen. Der erste beschreibt eine effizientere Nutzung der eingesetzten Materialien, etwa durch eine längere Lebensdauer, bsw. durch eine Wiederverwendung oder intensivierte Nutzung durch Sharing-Modelle. Im zweiten Ansatz wird die Effizienz der in der Produktion verwendeten Materialien optimiert, eine Möglichkeit stellt hier der Einsatz von Recycling-Materialien dar. Im dritten Ansatz werden darüber hinaus alle Ressourcen berücksichtigt, die neben dem eigentlichen Material in den Herstellungsprozess einfließen. Diese sogenannten Material-Substitutionen sind von großer Bedeutung, stellen jedoch auch methodische Herausforderungen dar.

 

Um klare, rechtssichere und verbindliche Vorgaben zur Materialeffizienz festzulegen, muss die durch das Design beeinflusste Umweltleistung eines Produkts messbar gemacht werden. Dazu werden Leistungsparameter, relevante Produktaspekte und geeignete Testverfahren herangezogen. Auf Basis einer Vielzahl gemessener Werte lassen sich Leistungsklassen definieren, die eine standardisierte Einordnung von Produkten und Designs ermöglichen.

Analyse der Begriffsklärungen und Projekterkenntnisse

Im Dokument werden die Ökodesign-Anforderungen detailliert analysiert, insbesondere im Hinblick auf verbindliche Anforderungen an die Materialeffizienz. Ein zentrales Ergebnis der Analyse ist, dass die grundlegenden Begrifflichkeiten und umweltbezogenen Produktaspekte weitgehend auf Bekleidungstextilien übertragbar sind. Grundlegende Begriffe wie "Produkt" oder "Produktgruppe" sind problemlos übertragbar, ebenso umweltbezogene Produktaspekte wie Haltbarkeit und Reparierbarkeit Einschränkungen bestehen jedoch bei den Produktparametern zur Messung dieser Aspekte. Hier sind textilspezifische Definitionen und präzisere Formulierungen erforderlich, um die Messbarkeit der Materialeffizienz sicherzustellen.

 

Die Begrifflichkeiten zu umweltbezogenen Produktaspekten sind nur zum Teil auf Bekleidungstextilien zu übertragen, hier müssen Begrifflichkeiten festgelegt werden, Bildquelle: Umweltbundesamt

Leistungsparameter zur Haltbarkeit und Zuverlässigkeit von Bekleidungstextilien

Zur Bewertung der Haltbarkeit und Zuverlässigkeit von Bekleidungstextilien wurden spezifische Produktparameter definiert. Dazu gehören Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen, Wartbarkeit bzw. Überholbarkeit sowie Reparierbarkeit und Aufarbeitbarkeit. Diese Parameter werden weiter in spezifische Leistungsparameter unterteilt, denen – sofern vorhanden – Prüfmethoden zugeordnet sind.

  • Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen: Für diesen Produktparameter existiert kein standardisiertes Modell zur Nutzungsbeurteilung. Es sind jedoch zahlreiche Leistungsparameter vorhanden, die meist durch normierte Prüfmethoden abgedeckt werden. Dazu gehören unter anderem mechanische, chemische und physikalische Belastungen. Beispielsweise wird für die Widerstandsfähigkeit gegen chemische Belastungen der Leistungsparameter "Farbechtheit gegenüber Transpiration" berücksichtigt. Die entsprechende Prüfmethode ist die DIN EN ISO 105-E04.
  • Wartbarkeit und Überholbarkeit: Der Begriff Wartung umfasst Prozesse wie Waschen, Reinigen und Trocknen von Bekleidung, für die standardisierte Begriffe existieren. Allerdings wurde die Praxisnähe dieser Verfahren von Expert*innen begründet bezweifelt. Daher besteht weiterhin Bedarf an einer präziseren Definition von Leistungsanforderungen und Leistungsklassen. Positiv bewertet wurde, dass bereits sachgerechte Leistungsparameter und geeignete Prüfvorgaben identifiziert werden.
  • Reparierbarkeit und Aufarbeitbarkeit: Während die Reparierbarkeit als gut übertragbar auf Bekleidungstextilien eingestuft wird, ist die Nachrüstung, die eine funktionale Verbesserung darstellt, weniger anwendbar. Die Definition geeigneter Leistungsparameter zur Reparierbarkeit erfordert eine weitere produktgruppenspezifische Konkretisierung. Zudem spielen externe Faktoren wie die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und die Marktstruktur des Reparatursektors eine entscheidende Rolle.

 

Spezifische Leistungsparameter, wie die Beständigkeit gegen Biegen (Flexing) sind beispielsweise für beschichtete textile Flächen im Outdoorbereich relevant. Bildquelle: Pexels


Exkurs Reparierbarkeit

Ein wichtiger Aspekt der Reparierbarkeit ist die Möglichkeit, Kleidungsstücke technisch so zu gestalten, dass sie leichter zerlegt und repariert werden können. Besondere Schwachstellen sind dabei Verschlüsse wie Reißverschlüsse oder Knöpfe, deren Reparaturfähigkeit oft über die Weiterverwendung eines Kleidungsstücks entscheidet. Neben der technischen Machbarkeit beeinflussen auch die Verfügbarkeit von Ersatzteilen sowie die Reparaturkompetenzen der Verbraucher*innen die tatsächliche Umsetzbarkeit. Der Rückgang professioneller Änderungsbetriebe stellt dabei eine zusätzliche Herausforderung dar. Verbesserungen könnten durch einen besseren Zugang zu Ersatzteilen, Bereitstellung von Reparaturanleitungen oder Serviceangebote durch Hersteller erfolgen.

workshop ergebnisse

Im Rahmen des Workshops wurden die Begrifflichkeiten sowie die erarbeitete Struktur diskutiert und grundsätzlich befürwortet. Zudem wurde thematisiert, ob alle ermittelten Leistungsparameter tatsächlich als verbindliche Ökodesign-Anforderungen sinnvoll sind. 

 

„Seitens der Gutachter*innen und des Umweltbundesamtes wurde klargestellt, dass die im Rahmen des Gutachtens durchgeführten Recherchen nach dem Vorliegen von Begrifflichkeiten, Definitionen und Prüfnormen keineswegs hießen, dass der jeweilige Leistungsaspekt auch sinnvollerweise Gegenstand einer verbindlichen Ökodesign-Mindestanforderung sein sollte oder sein wird.“

 

Zudem wurde der Zusammenhang zwischen Haltbarkeit und ästhetischen oder funktionalen Merkmalen wie Knitterfreiheit erläutert. Ergänzungen zu relevanten Leistungsparametern, etwa Wasserdampfdurchlässigkeit und UV-Schutz, wurden aufgenommen und in den Endbericht integriert.

it fits fazit

Das vorliegende Dokument ermöglicht Unternehmen eine erste Orientierung hinsichtlich der möglichen zukünftigen Anforderungen der ESPR.

 

Die Analyse zeigt, dass viele Begrifflichkeiten und Produktaspekte auf Bekleidungstextilien übertragbar sind, während es bei den Produktparametern zur Messung noch Anpassungsbedarf gibt. Besonders die Reparierbarkeit und Haltbarkeit spielen eine entscheidende Rolle für die Materialeffizienz und die Verlängerung der Lebensdauer von Textilien. 

 

Unternehmen sollten sich frühzeitig mit den für ihre Produkte relevanten Leistungsanforderungen auseinandersetzen und die entsprechenden Prüfmethoden identifizieren. Unternehmen mit einem etablierten und umfangreichen internen Qualitätsmanagement haben hierbei einen klaren Vorteil, da sie bereits über Strukturen verfügen, die als Grundlage für die Zusammenarbeit mit Lieferanten dienen können. Besonders Akteure aus dem Outdoor-Bereich dürften bereits mit einigen der untersuchten Leistungsparameter und Prüfmethoden vertraut sein. Hersteller könnten durch innovative Ansätze wie modulare Designs und verbesserte Ersatzteilverfügbarkeit einen Wettbewerbsvorteil erlangen.