Die Diskussion um das Lieferkettengesetz

Das Bundesentwicklungsministerium (Minister Gerd Müller) hat sich mit dem Bundesarbeitsministerium (Minister Hubertus Heil) und dem Bundeswirtschaftsministerium (Minister Peter Altmaier) im Februar 2021 auf den Entwurf für ein Lieferkettengesetz geeinigt. Das Lieferkettengesetz wurde nach nochmaligen Auseinandersetzungen am 3. März 2021 vom Bundeskabinett beschlossen. Bald müssen jedoch Unternehmen in ganz Europa dafür sorgen, dass es in ihren Lieferketten nicht zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung kommt. Bei einer Abstimmung im Europaparlament am 10. März votete die deutliche Mehrheit für ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene, welches über den deutschen Gesetzesentwurf hinausgehen soll.

Was das bedeutet sowie die verschiedenen Standpunkte aus den Lieferkettengesetz-Diskussionen haben uns interessiert.

Bild: BMZ

Nun ist es endlich amtlich: Das Lieferkettengesetz kommt, wenn auch mit einigen Kompromissen. Somit kann dieses Gesetz noch vor der anstehenden Bundestagswahl in diesem Jahr verabschiedet werden. Die Regierung spricht von einem "historischen Durchbruch", "gelungenen Kompromiss", aber auch von einem "ambitioniertesten Lieferkettengesetz". Deutsche Unternehmen werden verpflichtet, auf die Einhaltung von Menschenrechten bei ihren Zulieferern von Rohstoffen und Produkten zu achten. Kinderarbeit, Hungerlöhne oder umweltschädliche Arbeits- und Produktionsbedingungen sollen verhindert werden. Wenn deutsche Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachkommen, kann die Behörde Bußgelder und den Ausschluss von öffentlichen Aufträgen als Strafen verhängen. Zu den bisher freiwilligen Ansätzen ist das als ein Fortschritt in Richtung verbindlicher menschenrechtlicher und umweltbezogener Vorgaben zu sehen.

 

Der Einigung ging ein jahrelanger Streit zwischen Arbeits- und Entwicklungsministerium auf der einen Seite und dem Wirtschaftsministerium auf der anderen voraus. Beim Entwurf des Lieferkettengesetzes haben sich in zentralen Punkten Wirtschaftsverbände durchgesetzt. Nur eine Woche nach der Einigung ging der Streit in die nächste Runde: Der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium hält den Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums für zu streng, er gehe über den gefundenen Kompromiss hinaus. Dennoch wird die Wirksamkeit des Gesetzes als fragwürdig und mit zu vielen Schwachstellen diskutiert.

Zu den Inhalten des Lieferkettengesetzes

Das deutsche Lieferkettengesetz soll ab 2023 zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 MitarbeiterInnen gelten – das betrifft rund 600 Unternehmen in Deutschland. Ab 2024 gilt das Gesetzt für Unternehmen mit mehr als 1.000 MitarbeiterInnen – was rund 2.900 Unternehmen in Deutschland betreffen wird. Nach 2024 soll der Anwendungsbereich des Gesetzes erneut überprüft werden.

 

Die Unternehmen werden gemäß der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verpflichtet, zu ermitteln, inwieweit ihre Geschäftstätigkeit zu Menschenrechtsverletzungen führen kann.

Abbildung: BMZ                                                                                                               Die Sorgfaltspflichten der Unternehmen erstrecken sich dabei auf ihre gesamte Lieferkette – vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Sie müssen Maßnahmen ergreifen, um Verstößen gegen grund-legende Menschenrechtsstandards vorzubeugen und einen Beschwerdemechanismus für Betroffene einführen.

Die Anforderungen sind allerdings nach dem Einflussvermögen der Unternehmen abgestuft. Im eigenen Unternehmen und bei den unmittelbaren Zulieferbetrieben müssen sie die Achtung der Menschenrechte sicherstellen, zum Beispiel das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit und die Einhaltung international anerkannter Sozialstandards, wie den ILO-Kernarbeitsnormen. Bei Verstößen müssen sie umgehend Abhilfemaßnahmen ergreifen. Bei mittelbaren Lieferanten gilt die Sorgfaltspflicht nur anlassbezogen. Hier müssen Unternehmen nur nachforschen und aktiv werden, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen erfahren.

 

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) soll die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren und bei Verstößen sanktionieren.

Abbildung: eigene Darstellung

Kritik am Lieferkettengesetz

Das Lieferkettengesetz zielt nur auf Großunternehmen ab, bietet keine lückenlose Transparenz der Supply Chain und berücksichtigt kaum ökologische und Nachhaltigkeitsstandards. Was bedeutet das im Detail?

 

Wirtschaftsminister Peter Altmaier konnte seine Forderungen durchsetzen und das Gesetz an wichtigen Stellen entkräften: Es wird auf das zentrale Element der zivilrechtlichen Haftung verzichtet. Damit wird Opfern von Menschenrechtsverletzungen verwehrt, vor deutschen Gerichten gegen die verantwortlichen Unternehmen einen Schadensersatz einzuklagen. Das französische Loi de Vigilance und auch die bisherigen Pläne für eine EU-Regelung gehen da deutlich weiter.

 

Auf Druck der Wirtschaftsverbände, des CDU-Wirtschaftsrats, des Bundeswirtschaftsministers und der Bundeskanzlerin wurde die Reichweite der Sorgfaltspflichten von Unternehmen eingeschränkt, in eine sogenannte abgestufte Sorgfaltspflicht. In vollem Umfang bezieht sich das Gesetz nur noch auf direkte Vertragspartner (wie Zwischenhändler, ggf. Konfektionäre), womit aber nicht die gesamte Lieferkette erfasst wird. Die „mittelbaren“ Zulieferer in der Vor-Kette wie z.B. die Spinnereien oder der Baumwollfarmer bleiben unberücksichtigt. Das widerspricht den UN-Leitprinzipien.

 

Das Gesetz wird für viel zu wenige Unternehmen gelten, zunächst nur für rund 600, wenn ab 2024 Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden erfasst werden, sind das etwa 2.800 Unternehmen. Damit fallen mittelständische Unternehmen ab 250 MitarbeiterInnen durch das Raster und somit zahlreiche (die meisten) Unternehmen der Bekleidungsindustrie.

 

Auch wird kein Bezug auf die Forderung nach einem geschlechtergerechten Lieferkettengesetz genommen, was FEMNET und andere NGOs stets gefordert hatten.

 

Der Gesetzentwurf berücksichtigt Umweltstandards nur marginal und führt keine eigenen, umweltbezogenen Sorgfaltspflichten ein. Damit bietet er keinen ganzheitlichen und eigenständigen Schutz der Umwelt. Massive Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust werden gar nicht erst erfasst, auch das Klima findet keine Berücksichtigung als Schutzgut.

 

Kritiker fordern alle Abgeordneten des Bundestages dazu auf, sich für Nachbesserungen des Lieferkettengesetzes stark zu machen. Ein wirksames Lieferkettengesetz muss:

  • Unternehmen dazu verpflichten, proaktiv entlang ihrer gesamten Lieferkette Menschenrechts-Risiken zu analysieren
  • die Rechte von Betroffenen durch eine zivilrechtliche Haftungsregelung stärken
  • eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflichten einführen
  • alle Unternehmen ab 250 MitarbeiterInnen erfassen

Stimmen zum Gesetz

Hubertus Heil, Arbeitsminister: "Das Lieferkettengesetz ist das bislang stärkste Gesetz in Europa im Kampf für Menschenrechte und gegen Ausbeutung."

 

Peter Altmaier, Wirtschaftsminister: "Wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass wir Menschenrechte besser schützen wollen, egal wo auf der Welt. Das gilt für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft."

 

Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmensverantwortung Tchibo: "Wir freuen uns, dass das monatelange Ringen in der Bundesregierung um ein Lieferkettengesetz endlich zu einem positiven Ergebnis geführt hat."

 

Jörg Hofmann, Vorstand IG Metall: "Die Bundesregierung hat geliefert. Insbesondere dank des Einsatzes der Minister Hubertus Heil und Gerd Müller ist der Durchbruch geschafft."

 

Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer Misereor: "Das ist ein großer Erfolg für den Einsatz zugunsten der Menschenrechte."

 

Frauen Union: "Erfolg für Sozial- und Umweltstandards entlang der Lieferkette von Produkten sowie für Menschenrechte und gegen Kinderarbeit."

 

Gundula Ullah, Vorstandsvorsitzende Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME): "Ich begrüße die Entscheidung der Bundesregierung, das Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen."

 

Johanna Kusch, Koordinatorin der Initiative Lieferkette: "Das Lieferkettengesetz kommt in dieser Legislaturperiode. Der wichtigste Schritt ist gemacht. Deutsche Unternehmen können bei Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihrer Lieferkette nicht mehr länger wegschauen."

 

Dr. Gisela Burckhardt, FEMNET: "Wir brauchen ein gendergerechtes Lieferkettengesetz für die gesamte Lieferkette für alle Unternehmen und nicht nur die großen, denn gerade im Bekleidungssektor gibt es viele KMU. Alle Unternehmen müssen Arbeits- und Menschenrechte in ihrer Lieferkette einhalten, seit wann sind die Menschenrechte von der Größe eines Unternehmens abhängig? Nur ein Gesetz, dass Unternehmen zur Sorgfaltspflicht entlang der ganzen Lieferkette verpflichtet wird zur tatsächlichen Überwindung Geschlechterungleichheiten beitragen können

EU-Parlament bereitet ein Lieferkettengesetz vor

 Nun will die EU mit einem eigenen Konzept nachlegen, das deutlich weiter geht als der deutsche Kompromiss. Das Ergebnis der Abstimmung des Europaparlaments am 10. März war eindeutig: 504 von 695 ParlamentarierInnen stimmten für den sogenannten „Legislativbericht über menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten von Unternehmen“. Das heißt: Das Europaparlament empfiehlt der EU-Kommission, ein EU-weites Lieferkettengesetz einzuführen.

 

Dass die Vorgaben für Unternehmen europaweit gelten, dafür macht sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schon lange stark. Doch die Pläne, die jetzt in Brüssel geschmiedet werden, dürften Altmaier nicht gefallen, weil diese weit über das hinaus geht, was die Bundesregierung auf nationaler Ebene beschlossen hat.

 

Das Europaparlament fordert, dass die gesamte Lieferkette erfasst wird. Im deutschen Gesetz werden bei direkten Zulieferern strengere Maßstäbe angelegt als am Beginn der Lieferkette. Außerdem sollen in Deutschland Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern nicht einbezogen werden. Die Europaabgeordneten wollen diese Grenze bei 250 Mitarbeitern ziehen. Auch bei der Frage, wie gegen Verstöße geklagt werden kann und wie Schäden am Allgemeinwohl definiert werden, geht das Europaparlament über den deutschen Gesetzesentwurf hinaus.

 

Im Juni will der EU-Justizkommissar Didier Reynders seine Pläne für ein europäisches Lieferkettengesetz vorstellen. Zufrieden äußerte sich die Abgeordnete Lara Wolters, die den Bericht eingebracht hatte: „Für Unternehmen schaffen wir ein level playing field und Rechtssicherheit. Für Verbraucher*innen garantieren wir faire Produkte. Für Arbeiter*innen erhöhen wir den Schutz. Für Opfer von Menschenrechtsverletzungen verbessern wir den Rechtszugang. Und für die Umwelt gehen wir einen Schritt, der bereits lange überfällig war.“ Trotzdem ist der Weg zu einem europäischen Lieferkettengesetz noch lang.

 

Vergleich zwischen dem Vorschlag des EU-Parlaments und den Beschlüssen der Bundesregierung:

  • Das EU-Parlament plant einen größeren Anwendungsbereich als die Bundesregierung: Es will viel mehr Unternehmen einbeziehen, darunter auch kleine und mittlere, die an der Börse notiert oder in Risikosektoren tätig sind. Auch US-amerikanische und chinesische Firmen, die in der EU-Geschäfte machen, würden erfasst.
  • Sowohl der Bericht des EU-Parlaments als auch die Pläne von Kommissar Reynders beinhalten klare Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung, um die Rechte von Betroffenen zu stärken.
  • Die Reichweite der Sorgfaltspflichten ist die größte Schwäche des deutschen Gesetzentwurfs: Jenseits der direkten Vertragspartner müssten Unternehmen Risiken nur in den Blick nehmen, wenn sie einen „Anlass“ dafür haben.
  • Auch in Bezug auf Umweltfragen geht der Vorschlag des EU-Parlaments über den deutschen Gesetzentwurf hinaus. Anders als der Entwurf der Bundesregierung sieht der Bericht des EU-Parlaments eine eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht vor.

Unser Resümee

Wären der Bundesentwicklungsminister Müller und Bundesminister für Arbeit und Soziales Heil keine Kompromisse eingegangen, dann hätte die Diskussion kein Ende gefunden und der Gesetzes-Wunsch gescheitert. Deshalb ist die Verabschiedung als Schritt in die richtige Richtung zu sehen, denn selbst aufgeweichte Verpflichtungen sind besser als freiwilliges Nichtstun. Nach dieser zähen Diskussion über viele Jahre hatten wir nur die Wahl zwischen einem abgeschwächten Gesetz oder gar keinem Gesetz, das dürfte doch sicher allen klar sein. Auch wenn die Enttäuschung über die vielen Kompromisse berechtigt ist, dürfte das deutsche Lieferkettengesetz für andere Nationen und die EU ein Zeichen setzen. Was nützt ein Gesetz, wenn es zu schwer umsetzbar ist und die meisten doch nicht gesetzeskonform handeln werden?!

 

Initiativen, NGOs und hoffentlich v.a. die Bundestagsabgeordneten werden sich dafür einsetzen, dass dieses Gesetz in den nächsten Jahren, wie oben aufgeführt, schrittweise verschärft wird. Bei aller Kritik ist es doch ein Erfolg, dass nun verbindliche Anforderungen und Sorgfaltspflichten bei den mittelbaren Zulieferfirmen umgesetzt werden und dass Betroffene über die NGOs ihre Rechte einklagen können, womit den NGOs u.U. eine herausfordernde Aufgabe zukommt.

quellen

Mitteilungen des BMZ und Bundesregierung:

https://www.bmz.de/de/themen/lieferkettengesetz/index.html

https://www.bmz.de/de/themen/lieferketten/index.html

https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/lieferkettengesetz-1872010

Download
Fragen und Antworten zum Lieferkettengesetz von der Bundesregierung
lieferkettengesetz-fragen-und-antworten.
Adobe Acrobat Dokument 576.4 KB